Schauplatz und Lehrer: Die Berge, konkreter, die Höfats, der wahrscheinlich magischste Berg im Allgäu.
Normalerweise bin ich vor einer anspruchsvollen Bergtour gespannt und aufgeregt und/oder in freudiger Erwartung.
Diesmal war es schon mehrere Tage Angst, Ehrfurcht und großen Respekt vor diesem historischen Berg.
Die Nacht vorher konnte ich deswegen nicht einschlafen, 1000 zweifelnde Gedanken kreisen im Kopf, immer wieder das ungute Gefühl diesem Berg nicht gewachsen zu sein und Bilder davon mitten Auf dem Grat zu erstarren oder ein Fehltritt zu machen.
Links und rechts geht es einige 100 Meter runter. Es gibt keinen Notabstieg, der einzige Weg ist die Überschreitung aller Gipfel über einen messerscharfen ausgesetzten Grat. So intensiv habe ich die Angst lange nicht gespürt, so kenne ich mich nicht, aber diesmal ist es eben so.
Der Morgen: Schlecht geschlafen, leichte Kopfschmerzen, wirklich toller start, yeah.
„Du musst das nicht machen“ sage ich mir. Wieder das Gefühl von Angst.
Irgendwas in mir will diesen Berg hoch
Also Frühstück, mit dem Auto zum Parkplatz, ca. 1,5h auf breiten Wegen hoch zum Einstieg, die Gedanken kreisen weiterhin. 10 min Kurzes Rasten.
Meinem Bruder fällt auf, dass er die Sonnencreme vergessen hat, na wunderbar, auch das noch
“ Wir können immer noch umkehren, jetzt wäre der Zeitpunkt es laut auszusprechen“
höre ich in mir. Es kommt nicht raus.
Also All-in, wir laufen los, Blick nach oben auf die 60-80 Grad steilen Grasflanken weit oben.
Der Teil in mir, der hoch will wird lauter, aktiviert den Fokus-Mode und das Selbstvertrauen in meine bergsteigerischen Fähigkeiten kommt langsam zurück, die Kopfschmerzen sind weg.
Ich verstärke bewusst durch das Mantra: Fokus, Fokus, Fokus und konzentriere mich auf jeden Schritt auf dem „Pfad“, der eher leicht platt getreten, sehr schmalen Grasbüscheln in sehr steilen Gelände entspricht. Ab hier muss wirklich jeder Tritt sitzen.
Die Angst in mir ist nicht ganz weg, aber deutlich leiser geworden.
So geht es weiter steil Bergauf durch extrem schöne „vertikale Gemüsegarten“ zur Biwakschachtel, dem Not-Unterschlupf bei schlechtem Wetter. Es ist wunderschön hier oben. Der Anstieg bis hierhin, schon ein ordentlichen Anspruch an die Fähigkeiten des geübten Bergsteigers in Sachen Trittsicherheit und Schwindelfreiheit.
Halbes Brötchen, halbe Banane, ein Schluck Wasser. Die Gedanken fangen wieder an zu kreisen für kurze Zeit, ich spüre wieder die Angst „Das könnten wir schon wieder absteigen“.
Wir gehen weiter. Jetzt heißt es höchste Konzentration. Bis zu Gipfel heißt es durch ganz steiles Gras(60-80%Steigung) und brüchiges Gestein.
Wie eine vertikale Grüne Wand. Doch es gibt nur noch den Weg nach Oben.Gefühlt eine Stunde jeden Tritt, jeden Griff, jedes Büschel testen ob es fest und greif/tretbar ist.
Ich denke und fühle gar nichts, ich kletter und steige einfach, mein Körper macht,
es gibt kein höheres Level an Konzentration.Flow.Ich bin.Jetzt.Unbeschreiblich.
Irgendwann queren wir zu einer Rinne. Die Rinne hat festeres Gestein und klar sichtbare Grasstufen.
[Im nachhinein habe ich durch andere Tourenberichte heraus gefunden, dass der Normalweg durch diese Rinne geht, die wir erst 50 Meter unter dem Gipfel queren. Wir haben deutlich schwereres Gelände, durchstiegen. Für mich die schwerste Passage an der Tour ]
Der anhaltend steile Weg bis zum West-Gipfel ist Formsache, ich genieße die Kletterei und eine unbeschreibliche Freude macht sich in mir breit.
Vom Westgipfel startet die eigentliche Schwierigkeit der Kletterei erst: Die Überschreitung der 4 Höfats Gipfel über ausgesetzte Grate aus losem Fels und Gras.
Davor hat es mir die Nacht vorher noch so gegraut, doch jetzt ich spüre einen ruhigen Frieden und tiefe Freude.
Einen dieser Momente sieht man auf dem Bild, die Schlüsselstelle der ganzen Tour:
Der Reitergrad, den ich vor Freude zügele.
Außerdem nehme ich die unangetastete Natur wahr, die Pflanzenvielfalt, den Ausblick und die Weite. Unglaublich schön. Alles ist intensiv. Das Highlight ist das Edelweiß, das hier oben wächst – ein Symbol für die Alpenlandschaft.
Wir überschreiten alle Gipfel und steigen vom Ostgipfel erst steil und dann immer flacher werdendes Gelände bis zu einer bewirtschafteten Berghütte. Von dort bis ins Tal reden wir nicht viel, no words needed, nur die Alpenlandschaft genießen. Sonnenbrand gibt es trotzdem, mein Bruder verspricht ganz viel kaltes Bier zu kaufen um den Sonnenbrand zu kühlen – von innen versteht sich.
Ich bin von tiefer Dankbarkeit erfüllt diesen Berg zu besteigen, sicher wieder runter zu kommen und all diese Erlebnisse, Eindrücke und Erkenntnisse zu sammeln.
Diese Erzählung ist die Antwort auf die Frage:
Warum besteige ich diesen Berg?
Der Berg, der mich durch die Nacht quält und mir mich eine Angst spüren lässt, die ich so stark nie oder ganz selten nur verspürt habe.
Jetzt sehe ich es klar: Es war die Angst die ich besiegen wollte. Ich wusste schon vorher, dass der Berg von der Kondition und technischen Schwierigkeit für mich möglich ist.auch wenn es eine große Herausforderung werden würde.
Das einzige was ich meistern musste waren die Gedanken in meinem Kopf und letztendlich das Gefühl der Angst.
Von weitem sieht die Angst aus wie ein Ungeheuer, gefährlich und bedrohlich. Sie nimmt dich ein, umklammert dich umso fester, je weiter du sich von ihrer Ursache entfernst.
Wie schlimm die Angst auch immer sein mag. Je näher du an ihrer Ursache dran bist, dich auf diese einlässt, deinen Fähigkeiten vertraust, desto kleiner wird die Angst.
Der Gewinn sind innerer Frieden, tiefe Freude, Entwicklung, Selbstvertrauen – Das ist Leben für mich.
Die Frage ist: Was ist dein „Berg“, der auf dich wartet um endlich deine Ängste zu überwinden ?